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Riesiges Funkloch: Amerikas handyfreies Paradies

Funkloch so groß wie NRW

Amerikas handyfreies Paradies

14.02.2014, 15:08 Uhr | Sebastian Fischer, Spiegel Online

Das größte, voll bewegliche Radioteleskop der Welt. (Quelle: National Radio Astronomy Observatory)

Das größte, voll bewegliche Radioteleskop der Welt. (Quelle: National Radio Astronomy Observatory)

Mitten in Nordamerika klafft ein staatlich verordnetes Funkloch. Die USA versuchen, an ihrer Ostküste ein Gebiet von der Größe Nordrhein-Westfalens möglichst frei von Strahlen zu halten. Im Zentrum der Zone gibt es weder Handy- noch Radioempfang. Manche kommen genau deshalb dorthin.

Eigentlich will Larry nur seine Ruhe. Er ist Fliegenfischer, und das reicht ihm. Aber weil er von der Fliegenfischerei nicht leben kann, vermietet er einen Teil seiner Ruhe an Touristen, die sich in die Einsamkeit trauen. Ein paar Zimmer mit alten Möbeln im großen Haus. Ohne Fernsehen, ohne Radio, ohne Handy-Empfang. Drumherum die Berge und jetzt, im Winter: Schnee, viel Schnee.

„Nach ein paar Stunden werden die meisten unruhig“, sagt Larry, grinsend. „Ständig Angst, irgendwas zu verpassen.“ Da drüben stehe ein Festnetztelefon, da könne man sich gern bedienen. „Wenn du noch weißt, wie das funktioniert.“ Larry amüsiert sich.

Handy- und Smartphone-Neuheiten

Funkloch mit 150 Einwohnern

So geht es zu in Green Bank, West Virginia, knapp 150 Einwohner, Zentrum der „National Radio Quiet Zone“. Die Zone ist ein staatlich verordnetes Funkloch von der Größe Nordrhein-Westfalens. Also selbst für amerikanische Verhältnisse ziemlich groß.

Hier gibt es kaum Mobilfunk- und Radioempfang, und fürs drahtlose Internet daheim braucht es in vielen Regionen eine Genehmigung. Der Grund: das größte, voll bewegliche Radioteleskop der Welt. Die weiße Schüssel überragt Green Bank, dank ihrer 100 Meter Durchmesser können 85 Prozent des Firmaments nach Himmelskörpern und anderen Erscheinungen abgesucht werden.

Jede Menge Verbote sorgen für absolute Ruhe

Jedes Signal von der Erde würde die Ergebnisse gefährden. Nur an den Rändern der Zone zeigt das Handy Empfang an. Doch je näher Green Bank rückt, desto schärfer werden die Verbote durchgesetzt. Die Fahrt zum Teleskop darf der Ingenieur Michael Holstine nur im Diesel-Truck antreten.

„Benzinmotoren gehen nicht, wegen der Funken“, sagt er. Am Straßenrand stehen rot umrandete Warnschilder mit durchgestrichenen Zündkerzen. Ist im Umkreis eine Mikrowelle defekt oder wird ein Wi-Fi-Netzwerk installiert, geht oben am Teleskop der Alarm los.

Holstine ist vor mehr als 20 Jahren nach Green Bank gekommen, war einer der Konstrukteure der riesigen Schüssel. Er ist geblieben. „Ist doch wunderbar ruhig hier“, sagt er. Wer die Zone verlässt, dem gibt er eines der zehn Handys mit, die er in seinem Büro lagert.

Neulich sei er mal raus, reichlich verrückt gehe es da ja zu: „Die Leute starren nur noch auf ihre Smartphones, die unterhalten sich nicht mehr.“ Holstine und seine Leute haben auf dem Gelände einen Swimming Pool angelegt, einen Schießstand, Wanderwege auch. Manchmal kommen Schulkinder und bleiben ein paar Tage: „Um sich zu erholen.“

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LG G2 (Quelle: Hersteller)

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Oase für Elektrosmoggeplagte

Aber Green Bank in der Funkloch-Oase hat sich auch zu einem Sehnsuchtsort für all jene entwickelt, die davon überzeugt sind, unter Elektrosmog und Funkwellen zu leiden. Die Neuen bringen einen alternativen Lebenswandel mit nach West Virginia, der dort nicht gerade heimisch ist.

In der örtlichen Tankstelle (Marke: „Liberty“), wo man Tarnfleck trägt, Burger inklusive Pommes zwei Dollar kosten und allerlei Hirsch-Gemälde zu erwerben sind, steht gleich am Eingang die Warnung: „Wir servieren hier nichts Glutenfreies!“ Und Larry, der Fliegenfischer, hatte ja schon ein bisschen genervt festgestellt, dass bei ihm manchmal Leute übernachten, die darauf beharrten, er möge doch bitte unbedingt den Stecker der Mikrowelle ziehen.

Verzicht auf Handy und WLAN wegen Kopfschmerzen

Das Epizentrum der Leidenden im Epizentrum des Funklochs ist der große Küchentisch von Diane Schou. An den kommt nur, wer den Akku aus seinem Handy nimmt. Auf der Tasse der Gastgeberin findet sich ein Porträt des Herrn Faraday.

Dem Besucher wird selbstgebackener Kuchen serviert und eine kleine Fahne mit seinen Nationalfarben präsentiert. An diesem Tag ist es die deutsche. Auf dem Schrank stehen Fähnchen mit den Farben von Kanada, Australien, Russland, Frankreich, Großbritannien. Diane hat viele Besucher.

„Nein“, sagt sie, „das sind Flüchtlinge.“

Wer Diane Schou nach ihrem Leiden fragt, dem reicht sie einen Ausdruck mit der Auflistung ihrer Symptome, vor allem Kopfschmerzen. Am Anfang machte ihr der Funkmast eines ganz bestimmten Providers zu schaffen.

Mittlerweile sind es auch andere Anbieter. Und Stromleitungen und Mikrowellen und Leuchtstoffröhren und Armbanduhren und Taschenlampen. Zuletzt auch noch die Kaffeemaschine. Eigentlich auch Kühlschränke, aber ohne Kühlschrank wäre das Leben dann doch ein bisschen hart. Wenn der Nachbar im Sommer da ist, schaltet er sein WLAN-Netzwerk ein, und Diane Schou kriegt Kopfschmerzen. „Das ist eigentlich verboten“, sagt sie.

Vor sieben Jahren ist sie mit ihrem Mann aus Iowa nach Green Bank gezogen, hier kann sie das Haus verlassen, ein halbwegs normales Leben führen, sagt sie. Mittlerweile würden 35 elektrosensible Menschen in der Gegend wohnen. „Wir wollen eine Gemeinde etablieren“, sagt Schou.

„Ein Schatz, wie ein Nationalpark“

So etwas wie die in den fünfziger Jahren begründete Quiet Zone, sagt Michael Holstine, der Ingenieur, das gebe es doch nirgends auf der Welt ein zweites Mal. Heute wäre das auch sicher nicht mehr durchzusetzen, es würde Proteste geben, glaubt er. „Das hier ist wie ein Schatz, wie ein Nationalpark.“ Holstine schaut hoch zur Schüssel: „Und das ist mein Baby.“

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14.02.2014, 15:08 Uhr | Sebastian Fischer, Spiegel Online

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