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«Sozialhilfe ist kein Feriengeld»: Im Sommer sind viele Sozialhilfe-Empfänger verreist

Eine alleinerziehende Mutter (30) fährt im Juli mit ihren drei Kindern für eine Woche nach Marokko. Die Frau lebt von Sozial­hilfe, hat eigentlich kein Geld für Ferien ? und ihre Wohngemeinde keine Ahnung, dass sie weg ist. Nach ihrer Rückkehr stellt die Behörde sie zur Rede, fragt, wie sie die Reise finanziert hat. Die Mutter kann es nicht erklären.

Fälle wie dieser sorgen derzeit in den Gemeinden für hitzige Debatten. Zum Beispiel in Brugg AG. «In diesem Jahr haben wir vermehrt Diskussionen mit Sozialhilfebezügern, die ferienabwesend sind und dies nicht melden», sagt Jürg Schönenberger (47), Leiter der Sozialen Dienste. «Uns beschäftigen konkret zwölf Fälle, die stossend sind.» Die Bezüger können nicht schlüssig erklären, wie sie die Fe­rien finanziert haben. «Ein Bezüger mit einem so knappen Budget kann sich keine Ferienaufenthalte im Ausland leisten, ohne die Mittel auf andere Weise zu beschaffen oder geschenkt zu erhalten.»

Weil es keine schweizweite Regelung für Ferien von Sozialhilfebezügern gibt und auch die Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) keine klaren  Richtlinien dazu formuliert hat, muss jede Gemeinde selbst eine Lösung finden. Brugg hat nun ein Verwaltungsgerichtsurteil angefordert. «Wir müssen klären, wie wir künftig damit umgehen wollen.» Jetzt gibt es für die betreffenden Fälle erst einmal eine Verwarnung: «Wir wollen ihnen verständlich machen, dass es stossend ist, wenn sie auf Kosten der Steuerzahler in die Ferien gehen.»

Ueli Studer (60, SVP), Sozialvorsteher der Gemeinde Köniz BE, hat zu dem Thema einen Vorstoss im Berner Grossen Rat eingereicht. Er fordert, dass die Ausgaben für die Sozialhilfe im Kanton um zehn Prozent sinken: «Wenn man mit der Sozialhilfe Geld für Ferienreisen sparen kann, ist das ein Beleg dafür, dass die Ansätze zu hoch sind.» Man könne es den Sozialhilfebezügern nicht grundsätzlich verbieten, in die Ferien zu fahren, schliesslich seien darunter auch Familien und Kranke. «Aber ich sehe das nicht gerne. Die Sozialhilfe soll Menschen in Not unterstützen. Das soll reichen für das tägliche Leben. Mich ärgert, wenn jemand mit diesem Geld in die Ferien reist.» Im September wird über den Vorstoss entschieden.

Tatsächlich fahren sehr viele Sozialhilfebezüger in die Ferien ? trotz kleinen Budgets. «Im Juli und August sind nicht wenige unserer Klienten in den Ferien. Ein Grossteil reist ins Heimatland, etwa in die Türkei, auf den Balkan, aber auch mal nach Thailand», sagt ­Beatrice Reusser (56), Leiterin der Abteilung Soziales der Stadt Biel BE. Sie zeigt Verständnis: «Nur weil sie Sozialhilfe bekommen, verlieren sie nicht das Recht auf Ferien.»

In Dübendorf ZH sorgt das Thema häufig für Streit. Leiterin So­zialhilfe Patrizia Burkhard: «Viele verstehen nicht, warum sie nicht fünf Wochen in die Ferien dürfen.» Sie ärgert sich: «Wenn jemand auf Stellensuche ist, sollte er Bewerbungen schreiben ? und nicht in die Ferien fahren.» 

Jedes Sozialamt stellt eigene Ferienregeln auf. Städte wie Luzern, Basel oder Zürich erlauben Sozialhilfebezügern vier Wochen Ferien, Winterthur oder Brugg nur zwei. Dübendorf gestattet Ferien nur in Ausnahmefällen. In Basel müssen Sozialhilfebezüger auflisten, wie sie ihre Ferien finanzieren. Melden sich Sozialhilfebezüger nicht ab, erfahren manche Behörden nur zufällig von der Abwesenheit.

Durcheinander herrscht auch bei den Sanktionen für Uneinsichtige. Bleibt jemand länger in den Ferien als bewilligt, streichen etwa Luzern und Basel den Grundbedarf für den nächsten Monat. Andere belassen es bei einer Kürzung oder einer Verwarnung.

Viele Verantwortliche, etwa in Brugg und Basel fordern nun eine schweizweit einheitliche Praxis. Rosmarie Groux (59), Grossrätin in der Gemeinde Berikon AG: «Dieser Kantönligeist muss aufhören. Schafft endlich ganz klare Regeln, die für alle Sozialhilfebezüger in der Schweiz gelten.»?

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