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Die Kanzlerin und der Affenzahn

Angela Merkel soll Suppe kochen und vor allem die Welt retten bei der RTL-Sendung ?An einem Tisch?. Auf den Tisch kommt vieles, was angeblich so schlecht läuft in Deutschland. Dabei hat nur ein Gast Grund zum Jammern. Von FOCUS-Redakteurin Carin Pawlak

Keiner derzeit, der für die Kanzlerin nicht den passenden Rat bereithält. Mode-Diva Karl Lagerfeld lästerte, dass Angela Merkel bei ihren Körperformen besser maßschneidern ließe. Selbsternannte Sprachkünstler schreiben Groß-Abhandlungen darüber, wie die Kanzlerin sich ausdrückt. Mal wird der Konjunktiv vermisst, mal werden schiefe Metaphern beklagt.

Veganer Kuscheltalk

Personalisierung lautet die Standardformel, wenn die Arbeit der wichtigsten Frau Deutschlands vermessen werden soll. Und wo könnte man die Persönlichkeit der Kanzlerin besser erleben, wenn nicht an einem dieser Tische, die so aussehen, als kämen sie frisch aus dem Wald. Eine große Obstschale drauf und Riesenwasserkrüge mit Grünzeug drin ? und los geht?s mit dem veganen Kuscheltalk bei RTL-Mann Peter Kloeppel.

Dass die Runde aus Bürgern (und dem unvermeidlichen Koch-Darsteller Christian Rach) naturgemäß geschmeidig verläuft, war zu erwarten und ist auch in Ordnung. Beim Kanzler-Duell am nächsten Sonntag (inklusive des unvermeidlichen Moderatoren-Darstellers Stefan Raab) wird es schon noch ein wenig rauer zugehen.

?Endlich mal die Wahrheit sagen?, so wird der Kanzlerin-Tischtermin angekündigt. Dabei wünscht sich ein 47-jähriger IT-Manager nur, dass Merkel seinen jüngsten Sohn mal ins Bett bringt. Ob sie sich das vorstellen könne? ?Meinen Sie, es scheitert am Gute-Nacht-Lied? ,Der Mond ist aufgegangen? schaffe ich schon?, verspricht Merkel charmant. Auch vorm potenziellen Kartoffelsuppe-Kochen ist Merkel nicht bang. ?Ham Se ne gute Kartoffelhacke??, will die Kanzlerin wissen. Überhaupt zeigt sich, dass Merkel erstaunlich wenig Berührungsängste kennt. Und gewitzt kontert, wenn der vierfache Vater klagt, dass Großfamilien in Restaurants von manchem schief beäugt werden. ?Ich kann ja kein Gesetz machen, das vorschreibt, dass Rentner Kinder freundlich anschauen müssen.?

Taffe Handtaschen

Die vorgebrachten Sorgen der Bürger, so scheint es, spiegeln recht gut, dass Deutschland nicht zufällig der Europa-Star ist. Journalistin Beate Krafft-Schöning, die 2010 mit der fragwürdigen RTL2-Sendung ?Tatort Internet? (zum Glück nur kurz) bekannt wurde, würde mit der Kanzlerin zwar gerne Handtaschen shoppen, entscheidet sich aber dann doch dafür, über ihre Mutterrolle zu meckern. Ein emeritierter Professor will mit Merkel Internet-Schach spielen, sagt während der ganzen Sendung keinen Ton und vergibt am Ende die Note 4 minus.

Eine 19-jährige Gymnasiastin fragt immer wieder nach der Zukunft. ?Was, wenn ich arbeitslos werde?? Die Kanzlerin bleibt höflich. Die demografische Entwicklung sorge schon dafür, dass junge Menschen Arbeit fänden. Und was sei mit Schulabbrechern? Da muss sich Merkel dann doch ein wenig zwingen, nicht zu sagen, was sie ? zu Recht ? denkt. Von der Schülerin bekommt Merkel am Ende der Sendung dennoch eine 2 plus. Eine ?taffe Frau? sei sie, strahlt die junge Frau. Zu wenig Ganztagsschulen gebe es, das kommt noch völlig richtig auf den Tisch. Da windet sich die Kanzlerin nicht lange. ?Hier muss im Affenzahn vieles nachgeholt werden?, sagt sie. Zu NSA oder Energiewende gab es übrigens keine Fragen. Auch interessant.

Nur bei einem Gast kann Merkel nicht mit Souveränität punkten. Christel Paweski, 70, hat 40 Jahre lang als Pflegekraft gearbeitet. Jetzt lebt sie von 695 Euro Rente, muss Wohngeld beim Amt beantragen. Als der kurze Einspielfilm über die Berlinerin zu Ende ist, kämpft Paweski mit den Tränen. Eine Mischung aus Scham und Perspektivlosigkeit. Merkel geht schnell darüber hinweg. Sie weiß, wo ihre Grenzen sind beim Projekt Nur-noch-kurz-die-Welt-retten.

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