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Community-Funknetze als Überwachungs-Gegengift

Aktivisten aus dem Freifunk-Umfeld setzen auf eine Änderung der Struktur von Netzwerken, um ein „Gegengift“ zur umfassenden Schnüffelei der NSA und ihrer Partner zu entwickeln. „Eine lokale und dezentrale Infrastruktur macht die Überwachung viel kostspieliger“, erklärte der US-Hacker Dan Staples am Freitag auf dem International Summit for Community Wireless Networks (IS4CWN) in Berlin. Darüber könne man etwa E-Mails oder Chat-Nachrichten direkt an Freunde schicken. Diese müssten dann nicht zentral bei Providern wie Google oder Microsoft gespeichert und über leicht anzapfbare Internetknoten geroutet werden.

Die gegenwärtige Netzstruktur erlaube es Geheimdiensten, den gesamten Datenverkehr aus Unterseekabeln oder Austauschknoten einfach abzufangen, führte Staples aus. Sie ermögliche eine „schier perfekte Überwachung zum kleinen Preis“. Auf diesem Weg könnten die Sicherheitsbehörden nicht nur eine Atmosphäre schaffen, in der kaum einer mehr Kritik zu äußern wage, sondern auch soziale Bewegungen wie Occupy gezielt diskreditieren und „neutralisieren“.

Staples drängte daher darauf, die Prinzipien der Netzprotokolle zu ändern. In ihrem Ausmaß begrenzte WLANs etwa, die als weitgehend geschlossene Netzwerke fungierten, könnten gemeinschaftlich von einer kleinen Gruppe betrieben werden.

„Topographie des Netzes ändern“

„Spezielle soziale Gemeinschaften brauchen ihre eigene Netzinfrastruktur“, hieb Nat Meysenburg vom alternativen US-Provider May First in die gleiche Kerbe. Auch eigene Kunden könne man trotz erhöhter Datenschutzvorkehrungen und der Bereitschaft, sich gegebenenfalls auf gerichtliche Auseinandersetzung einzulassen, etwa nicht vor der Beschlagnahme anonymer Remail-Server durch das FBI bewahren. Es sei daher höchste Zeit, die „Topographie“ des Netzes zu ändern und die Bedürfnisse einzelner Communities zu berücksichtigen.

Meysenburg plädierte in diesem Sinne für einen neuen „Gesellschaftsvertrag“ für das Internet. Dieser müsse ein Ende der bisherigen Praxis einbeziehen, jedem Netzwerkbetreiber und Datentransporteur grundsätzlich zunächst zu vertrauen. Es müsse viel stärker unterschieden werden, ob ein Netz als Intranet betrieben werde oder die Schleusen über Gateways ins kaum kontrollierbare Internet öffne.

Staples‘ Hackerkollege Griffin Boyce plädierte ebenfalls für den verstärkten Aufbau drahtloser Nachbarschaftsnetzwerke und freier GSM-Netze unter Einbezug möglichst viel eigener Hardware. Die dabei eingesetzten Router seien schon von sich aus weniger kompatibel mit der von Geheimdienst- und Ermittlerkeisen üblicherweise verwendeten Überwachungsausrüstung. Er verwies aber darauf, dass es derzeit noch schwierig sei, Anonymisierungstechniken wie Tor in vermaschte, einfaches Roaming erlaubende „Mesh“-Netzwerke zu integrieren. Generell würfen auch miteinander verknüpfte WLANs, denen sich jeder anschließen könne, die Vertrauensfrage auf.

VPN-Tunnel nach Schweden

Ein Vertreter der hiesigen Freifunk-Gemeinde brachte das Berliner Pilotprojekt Freedom Fighter Box ins Spiel, das die internationalen Redner auf dem Podium bislang nur vom Hörensagen kannten. Die entsprechenden Router verbinden sich über einen DSL-Anschluss mit dem Internet. Den Datenverkehr der am Zugangspunkt angemeldeten Nutzer tunneln die Geräte automatisch per virtuellem privaten Netz jedoch zu einem VPN-Anbieter in Schweden, sodass sowohl WLAN-Surfer als auch DSL-Inhaber anonym bleiben und etwa bei abgemahnten Copyright-Verletzungen höchstens die weniger strikte dortige Rechtslage zum Tragen käme.

Von den Schwierigkeiten, mit öffentlichen Geldern in Washington offene Hotspots zu errichten, berichtete Jessie Posilikin von einer entsprechenden Aktionsgruppe der US-Hauptstadt. Letztlich sei diese vor die Gleichung gestellt worden: „Wenn ihr offenes WI-FI habt, habt ihr auch die Terroristen drin.“ Dabei habe 2009 alles gut angefangen, nachdem das Office of the Chief Technoloy Officer der Region 2009 rund 17 Millionen US-Dollar für ein städtisches Breitbandnetz erhalten habe. Im Jahr darauf sei den Aktivisten ein erstes öffentliches Gateway versprochen worden, 2011 die ersten zehntausend Dollar für einen schlichten drahtlosen Zugangspunkt ohne Mesh-Funktion.

Erhalten habe das Projektteam die Hardware aber nie. 2012 sei ihm vielmehr verdeutlicht worden, dass es im Einklang mit dem Anti-Terror-Gesetz Patriot Act den Betreibern jederzeit möglich sein müsse, spezifische Nutzer zu identifizieren. 2013 sei die staatliche Förderung schließlich mehr oder weniger unausgeschöpft ausgelaufen. (Stefan Krempl) / (jkj)

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