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Wenn die Helfer selbst Hilfe benötigen

Eckersdorf/Hollfeld Es klingelt im Morgengrauen überraschend an der Tür. Davor stehen Polizisten und ein Pfarrer. Szenen, die ein Großteil der Menschen nur aus dem Fernsehen kennen. Aus Krimis oder aus Dramen. Für vier Familien aus Hollfeld wurde das Grauen wahr. Kein Film. Leider. Es ist traurige Realität. Ein 22-Jähriger war in der Nacht zum Samstag auf der Straße zwischen Tröbersdorf und Obernsees mit seinem Audi von der Spur abgekommen und frontal in einen VW gerast. Im Audi saßen noch eine 18-Jährige und ein 19-Jähriger. Den VW lenkte ein 40-jähriger Familienvater. Alle tot. Bei der Wucht das Aufpralls hatten sie keine Chance. Die Last liegt Stunden später auf denjenigen, die diese traurige Nachrichten überbringen müssen. Aus dem fröhlichen Alltag wird in Zehntelsekunden das blanke Entsetzen. Das Leben ändert sich von jetzt auf gleich. Nichts ist, wie es einmal war. Reinhard Schübel ist der Notfallseelsorger für die Familie des 40-Jährigen.

Die Ehefrau und drei Kinder – 15, acht und sechs Jahre alt. Sie verliert ihren Mann, die Kinder ihren Vater. „Das sind Momente, die sich nicht beschreiben lassen“, sagt der Pfarrer der Gemeinde Eckersdorf. In Filmen werden solche Szenen in Sekunden abgehandelt. Hier, in der Realität, bleibt die Zeit stehen. Stumme Schreie, Tränen über Tränen. Was lässt sich in diesen Minuten für einen Seelsorger tun? „Da sein“, sagt Schübel. „Einfach da sein. Beistand geben, trösten, reden, beten. Der Familie das Gefühl geben, zu 100 Prozent da zu sein. Gott zu erklären. Gerade in diesen Momenten ist dies sehr wichtig“, erklärt der Pfarrer und holt tief Luft: „Am wichtigsten ist es, auf sie zuzugehen und sagen, dass man mit ihnen leidet.“ Sicher: Der Spruch geteiltes Leid ist halbes Leid, klingt abgedroschen, aber in diesen Momenten ist es so. Der schwere Weg zur Familie des 40-Jährigen war nicht der einzige für Reinhard Schübel. Er kehrte noch am Morgen an den Unglücksort zurück. 80 Rettungskräfte – vor allem von den Feuerwehren aus Donndorf und Eckersdorf – waren vor Ort. 30 haben die Hilfe des Notfallseelsorgers in Anspruch genommen. Wer in den beiden Autos saß, das hatte sich unter ihnen schnell herumgesprochen. Die jungen Leute sind von hier. Einigen Rettungskräften waren die Namen bekannt – Freunde, Bekannte, weitläufige Bekannte. Das macht es natürlich noch schwerer, das Geschehene zu verarbeiten, wenn irgendein Bezug zu den Toten besteht. „Sie müssen davon ausgehen, dass die Rettungskräfte nicht mit dem Allerschlimmsten gerechnet haben, als sie zum Unfallort gerufen wurden. Und dann finden sie dort in den Trümmern vier Tote. Das ist schlimm für die Helfer. Sie machen zwar ihren Job so gut es geht, können ja aber auch nicht aus ihrer Haut und leiden förmlich mit“, erklärt Pfarrer Schübel.

30 Helfer haben sich dann zusammengefunden, um selbst Hilfe in Empfang zu nehmen. „Das entscheidet jeder für sich selbst.“ Im Feuerwehrhaus in Eckersdorf haben sich die Retter gegen 5 Uhr Früh eingefunden und mit ihrem Pfarrer über das Erlebte gesprochen. Es waren leise Worte. Worte der Fassungslosigkeit und des Entsetzens, und es gab Tränen. Schübel hat mit den 30 Leuten – und einigen davor schon in Einzelgesprächen – gebetet, ihnen gut zugeredet, das alles nicht zu sehr an sich heranzulassen. „Sie waren nicht im eigenen Namen vor Ort, sondern in dem des Herrn, der Nächstenliebe wegen. Das ist wie ein Schild, das man vor sich herträgt und das verhindert, dass einen diese menschlichen Tragödien kaputt machen.“ Schübel hat den Helfern angeboten, in den kommenden Tagen eine weitere Gesprächsrunde über den Unfall abzuhalten. „Ich gehe davon aus, dass die meisten kommen werden. Vielen gelingt es, anderen wieder nicht. „Es gibt Leute, die nach solchen Unglücken ihren Dienst quittieren, weil sie damit nicht mehr umgehen können. Das ist dann auch besser so, denn das in sich hineinzufressen und Stärke vorzugeben, ist falsch.“

Reinhard Schübel ist da, um den Menschen Halt zu geben, um sie zu trösten und im besten Fall wieder aufzurichten. Das ist seine Berufung, der er seit 16 Jahren nachgeht. Aber wie sieht es in ihm selbst aus? Wie verarbeitet er so etwas? Wie bereitet er sich vor? Da er in den seltensten Fällen weiß, was auf ihn zukommt, hat er sich ein Ritual angewöhnt: „Ein Stoßgebet und dann mit Mut voran.“ Sein Glaube an Gott helfe ihm dabei, diese schweren Szenen zu überstehen.

„Ohne Gott und ohne Gebete würde ich solche Fälle nicht ohne Weiteres überstehen. Gerade die Gebete helfen mir sehr viel.“ In den 16 Jahren habe er sehr viel Leid gesehen und die unglücklichsten Situationen erlebt. „So viel Schrecken wie bei diesem Unfall war aber auch mir neu.“ Ihn erschüttert der Unfall zutiefst, aber nicht den Glauben an Gott.

Sie müssen davon ausgehen, dass die Rettungskräfte nicht mit dem Allerschlimmsten gerechnet haben, als sie zum Unfallort gerufen wurden. Und dann finden sie dort in den Trümmern vier Tote.

Notfallseelsorger Reinhard Schübel

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