Agro Portal

ITU nickt ersten Entwurf für Super-VDSL ab

Die International Telecommunikation Union, ITU, hat den ersten Entwurf für eine G.fast genannte DSL-Spezifikation abgenickt. Das Normungsinstitut meldet stolz, damit lassen sich bis zu „1 GBit/s über eine herkömmliche Telefonleitung“ übertragen. G.fast, das bald in der ITU-T-Empfehlung G.9701 münden soll, ist ähnlich wie VDSL für Kurzstrecken ausgelegt. Die ITU gibt 250 Meter als maximale Distanz zwischen einem Verteilpunkt, also etwa einem Outdor-DSLAM am Kabelverzweiger, und dem Teilnehmermodem an.

Der weitere Wortlaut der Meldung dürfte jedoch bei Fachleuten Stirnrunzeln hervorrufen: „Mit der Technik bekommen Netzbetreiber ein Werkzeug, um ihre Glasfaserstrategie (FTTH) mittels dem ADSL2-Vorteil der Selbst-Installation auf Teilnehmerseite zu stützen und weiter zu monetarisieren.“ Damit soll anscheinend der Eindruck erweckt werden, dass G.fast die Verbreitung von Glasfaseranschlüssen im Haus fördert.

Nebelkerze

Das irritiert, denn bisher hat noch jede für Kuperdoppeladern entwickelte DSL-Technik die Verbreitung der Glasfaser gebremst. Die höheren Geschwindigkeiten, die die ITU G.fast zuspricht, dürften den Druck zum Glasfaserausbau eher senken, denn wie jede DSL-Technik, so erspart auch G.fast Grabungs- und Verlegearbeiten, die für FTTH-Anschlüsse erforderlich sind (Fiber to the Home). Gestützt wird hingegen die FTTdp-Strategie, Fiber to the distribution point, also zum Beispiel Glasfaser bis zum Kabelverzweiger oder gar bis zum Hausverteiler. Manche Zulieferer kalkulieren für die Ankopplung am Hausverteiler bereits mit DSLAM-Boxen in Nachtschränkchengröße. Diese unauffällig aufstellbaren Elemente könnten beispielsweise mit 48 Ports ausgestattet sein und so große Wohnanlagen mit schnellem Internet über Telefonleitungen versorgen.

Und noch ein zweiter Punkt der Beschreibung verwundert: G.fast, so heisst es, kombiniere „die besten Eigenschaften der Glasfaser und der ADSL2-Technik“. Teilnehmer könnten die Endgeräte allein anbringen, Monteure seien nicht erforderlich. Welche Glasfaser-Eigenschaften G.fast haben soll, bleibt im Dunkeln und ADSL2-Modems sind natürlich längst nicht die einzigen, die Kunden selbst anstöpseln können.

Gasse für UKW-Radio

Das G.fast-Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Broadband Forum vorangetrieben wird, habe bereits viele Provider, Chiphersteller und Zulieferer angezogen. Labor- und kleine Feldversuche hätten mit Prototypen die Eckwerte der Technik bereits bestätigt. G.fast soll sich auch mit VDSL im selben Kabelbündel vertragen. Interoperabilitätstests für G.fast-Geräte untereinander sowie für den Mischbetrieb mit anderen DSL-Techniken stehen freilich noch aus.

Die ITU erwartet, dass Chip-Hersteller umgehend die Ärmel hochkrempeln und G.fast-Chips bauen, um größere Feldtests zu starten, deren Ergebnisse dann in die Arbeit der ITU-T Study Group 15 einfließen sollen. Die Spezifikation soll dann im April 2014 finalisiert werden. Parallel dazu tüftelt die ITU an der ITU-T-Empfehlung G.9700. Diese soll G.fast ebenfalls berücksichtigen, denn es sendet sehr breitbandige Signale, die mit denen von Rundfunkdiensten wie UKW-Radio (87,5 108 MHz) überlappen. G.9700 soll Störungen solcher Dienste verhindern.

Als Bettvorleger gelandet…

Weitere Details bleibt die ITU an dieser Stelle schuldig. Bei genauem Hinsehen fallen dann auch noch Diskrepanzen zwischen der vollmundigen Pressemeldung und weiteren Eckwerten der Spezifikation auf. Die Geschwindigkeitsangabe ? 1 GBit/s ? entspringt offenbar einer beherzten Addition: Tatsächlich erreicht G.fast unter besten Bedingungen nicht mehr als 500 MBit/s und zwar jeweils in Sende- und Empfangsrichtung. Und diese Datenrate bleibt auch nur bei Leitungen bis 100 Meter Länge erhalten, danach nimmt sie deutlich ab. Die Werte für längere Strecken sind bisher nicht durchgesickert.


Die Geschwindigkeitssteigerungen, die die Kupferdoppelader weiterhin am Leben halten, gründen hauptsächlich auf breiteren Frequenzspektrem. Der Aufwand, die immer höheren Frequenzen zu verwerten, steigt. Einiges deutet darauf hin, dass die Netzbetreiber die Stromversorgung ihrer eigenen Geräte dem Teilnehmer aufbürden wollen. Vergrößern
Der Gewinn gegenüber VDSL und VDSL-Vectoring ergibt sich bei G.fast aus einem weit breiteren Übertragungsband. VDSL2 nutzt 17 MHz oder 30 MHz breite Spektren, während für G.fast in der ersten Stufe 106 MHz und später sogar bis 212 MHz breite Bänder geplant sind. Aus dieser Auslegung ergibt sich zugleich ein schmaleres Anwendungsszenario: Je höher die Frequenzen, desto höher die Dämpfung und desto kürzer im Prinzip die Übertragungsstrecke, über die der Empfänger ein Signal noch zweifelsfrei erkennt. Um diese physikalischen Nachteile zu kompensieren, sind aufwendigere Chip-Designs mit höherer Stromaufnahme erforderlich.

Das ergibt sich besonders aus der Abstrahlcharakteristik: G.fast ist noch anfälliger für Übersprechstörungen von benachbarten G.fast-Leitungen als es VDSL schon ist. So muss G.fast eine noch aufwendigere Vectoring-Technik zur Koordinierung der benachbarten G.fast-Modems beim Teilnehmer einsetzen (noise cancellation), um die Nebensprechstörungen zu senken. Huawei gibt an, im Labor auf einer 100 Meter langen Teststrecke mit G.fast-Vectoring über 1 GBit/s zu erreichen.

Ohne Vectoring sackt die Bruttorate auf 200 MBit/s ab. Der Netzwerk-Zulieferer gibt freilich keine Details über die Leitungsgüte an. Beispielsweise ist unklar, ob die Leitungen isoliert geschirmt sind und welchen Durchmesser sie haben ? von beiden Parametern hängt die Leitungsqualität signifikant ab. Alcatel-Lucent hat änliche Tests durchgeführt und mit Vectoring 500 MBit/s erzielt und ohne Vectoring lediglich 60 MBit/s. Dabei handelt es sich um nichtisolierte ungeschirmte Leitungen wie sie bei Hausverkabelungen vorkommen.

Telco-Fütterung


Mit Vectoring Hui, ohne Vectoring Pfui: G.fast liefert im Laborexperiment auf kurze Strecken bei sehr guter Leitungsqualität und mit eingeschaltetem Vectoring offenbar über 1 GBit/s in einer Richtung. Schaltet man Vectoring ab, bleibt davon allenfalls ein Fünftel übrig. Die ITU arbeitet nun an einer Spezifikation, die symmetrisch 500 MBit/s erreicht, also in Sende- und Empfangsrichtung gleich schnell ist. Vergrößern
Bild: Huawei
Von einem spannenden Detail ist in der ITU-Pressemeldung schon gar nicht die Rede: Reverse Powering. Zu deutsch: Die Teilnehmergeräte sollen die aktiven G.fast-Elemente der Netzbetreiber über die Telefonleitung mit Strom versorgen (gemäß der ETSI-Spezifikation TR 102 629, 60 Volt dc, max. 300 mA). Viel ist das nicht, aber der Gedanke an Kleinvieh und Mist drängt sich spontan auf. Unternehmen, die an der Spezifikation mitgeschrieben haben, finden die Speisung seitens der Teilnehmer wünschenswert, weil die Provider-Geräte „weit weg von der Zentrale des Netzbetreibers installiert sind und daher Versorgungsengpässe auftreten können“.

Diese Sichtweise verwundert, denn die Entwickler werben damit, dass G.fast eine noch geringere Leistungsaufnahme pro Leitung haben wird als VDSL. Und schon für ADSL und VDSL finden die Betreiber bisher dennoch Wege, die Stromversorgung ohne Mithilfe des Teilnehmers sicherzustellen. Bei der analogen Telefonie und auch noch bei ISDN ist die Lage sogar umgekehrt: Der Betreiber versorgt seine Geräte selbst über mehrere Kilometer hinweg mit Strom. Beispielsweise beliefert das ISDN-Netz Notstrom-fähige ISDN-Telefone mit bis zu 400 mW über die Kupferdoppelader, auch über die maximale Distanz von 8 km.

Am spannendsten erscheint aber die Frage, wie wünschenswert es die Regulierungsbehörden wie etwa die Bundesnetzagentur finden, wenn Anbieter einen Teil ihrer Stromkosten auf Teilnehmer abwälzen. Vorstellbar ist, dass G.fast zuerst große und finanzstarke Betreiber einführen. Sie würden sich so nicht nur mit höheren Geschwindigkeiten gegenüber kleinen DSL-Anbietern absetzen, sondern dabei auch noch an Betriebskosten sparen.

Bärendienst

Der ITU hätte gut zu Gesicht gestanden, auch solche Details aufzuführen. So drängt sich aber die Frage auf, warum die Institution gerade jetzt Aufmerksamkeit auf einen Entwurf lenkt, während teils hitzige Diskussionen über den richtigen Breitbandausbau geführt werden. Denn erste Chipsätze kommen nach optimistischen Schätzungen vielleicht Ende 2014 in die Labore der Endgeräteentwickler, nach Meinung mancher Fachleute aber wohl erst 2015 oder mit Pech erst 2016.

Doch technisch erscheint G.fast fraglos faszinierend und wünschenswert und den Papierwerten zufolge kann man einen spürbar positiven Effekt auf den Breitbandausbau erwarten. Der Entwicklungsleistung der Ingenieure erweist die teils verzerrte, teils mit Angaben hinterm Berg haltende Veröffentlichung der ITU jedoch einen Bärendienst. (dz)

»Hier« der Link dazu. Ratschlag

NEWS ONLINE