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NSU-Prozess – Nach den Überfällen schwiegen sich die Neonazis an

Der NSU-Prozess beleuchtet auch das Umfeld des NSU-Trios. In der Zeugenaussage von Carsten S. wird deutlich, wie skrupellos es in der rechten Szene zuging. Die Neonazis prügelten und schossen auf Menschen. Niemand redete darüber, niemand fragte nach.

Es ist bereits der zweite Tag in Folge, an dem der Angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess aussagt. Am gestrigen Dienstag kündigte er an, nun endlich ?reinen Tisch machen? zu wollen. Unter Tränen ergänzte der 33 Jahre alte Sozialpädagoge, der mittlerweile aus der rechten Szene ausgestiegen ist, seine ursprüngliche Aussage erheblich. Er berichtete Details von dem Treffen, bei dem er dem NSU-Trio jene Waffe übergeben hat, mit der später neun Menschen ermordet wurden.

Besonders heikel: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, inzwischen beide tot, sollen ihm gesagt haben, sie hätten ?eine Taschenlampe in einen Laden in Nürnberg gestellt?. Carsten S. interpretierte das als Hinweis auf einen möglichen Sprengstoffanschlag. Gab es also noch einen weiteren Anschlagsversuch des rechten Trios, noch bevor im Jahr 2000 die Mordserie mit der von S. gelieferten ?Czeska? begann?

Tatsächlich wurde im Juni 1999 bei der Explosion einer Rohrbombe in einer Nürnberger Gaststätte ein 18-jähriger Putzmann verletzt. Nach Zeitungsberichten hatte er den etwa 30 Zentimeter großen Sprengsatz für eine Taschenlampe gehalten. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte der Deutschen Presseagentur: ?Wir versuchen zu verifizieren, um welche Tat es sich handeln könnte. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf den Fall Nürnberg.? Nach dpa-Informationen gehört der Nürnberger Rohrbombenanschlag nicht zu den Fällen, die dem Bundeskriminalamt (BKA) 2012 zur Prüfung auf eine mögliche Beteiligung der NSU-Terroristen vorgelegt wurden.

Zschäpe erleidet Schwächeanfall

Auf Carsten S.? Aussage vom Dienstag folgt am Mittwoch seine Befragung durch den Richter und die Anwälte. Der Prozess startet deutlich später als angekündigt ? offenbar weil Beate Zschäpe vor der Verhandlung einen Schwächeanfall erlitten hat. Als es losgeht, sitzt sie aber mit auf der Anklagebank.

Die Befragung von Carsten S. gewährt Einblicke in eine Szene, in der Nachfragen und Mitdenken verpönt zu sein scheinen, stattdessen ist Kaltblütigkeit gefragt. Immer wieder fragt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach, was sich Carsten S. denn bei all dem gedacht habe damals, warum er bei Ungereimtheiten nicht nachgefragt habe, ob er geahnt habe, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anderen Schaden zufügten? Die Antworten: ?Nichts?, ?Weiß ich nicht?, ?Nein?.

Seltsames Verhältnis zwischen Freunden

Wenn Carsten S. die Wahrheit sagt, hängten die sogenannten Freunden oder Kameraden in der rechten Szene in Jena hin und wieder ein faschistisches Plakat auf zusammen auf, tranken und prügelten. Und redeten nicht darüber.

Vor Gericht schildert Carsten S. zum Beispiel, wie er mit Freunden eines Abends zwei Männer zusammengeschlagen habe, weil sie einen seiner Kameraden als ?Nazi? beschimpft hätten. Auch er habe mehrmals auf eines der Opfer eingeschlagen. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben sei dem anderen Opfer nachgelaufen. Als Wohlleben zurückgekommen sei, habe er gesagt, er sei ihm ?auf dem Gesicht herumgesprungen?. Richter Götzl hakt nach, was Wohlleben noch gesagt habe. ?Nichts?, sagt Carsten S.

Ob sie auf dem Nachhauseweg über den Vorfall gesprochen hätten, will der Vorsitzende wissen. S. verneint. Zwar beschreibt er die Prügelei als ?Kick und Nervenkitzel? ? dann jedoch sollen seine Freunde das keine Minute lang nachbesprochen haben. Später habe er zufällig mitbekommen, dass einer seiner Bekannten das Opfer kenne, erzählt der 33-Jährige. ?Haben Sie nachgefragt, wer das war, was mit ihm passiert ist??, erkundigt sich Götzl. Auch hier: Kopfschütteln.

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